Migration beherrschen
Funktionelle Barriere von Kunststoffen
Als Fortsetzung des Themas "Recycelter Karton und Papier für Lebensmittelverpackungen" (Beitrag in verpacken-aktuell.de vom 20.7.2010) behandelt Dr. Rainer Brandsch in einem neuen InnoLETTER die Frage: Welche Kunststoffe haben ausreichende funktionelle Barriereeigenschaften, um die Migration von Kontaminanten wie z.B. Mineralöl ins Füllgut zu verhindern? Wir fassen die wesentlichen Inhalte zusammen.
Quelle: Innoform
Funktionelle Barriereeigenschaften von Kunststoffen und Mehrschichtverbunden scheinen bisher in der Praxis nicht hinreichend bekannt zu sein (siehe auch InnoLETTER vom 06.07.2010 [1]. Barrierewirkungen von Kunststoffen und Mehrschichtverbunden werden in der Anwendung vorwiegend im Zusammenhang mit der Durchlässigkeit von Gasen wie z.B. Sauerstoff, Kohlendioxid, Stickstoff oder Wasserdampf betrachtet. Der Autor beschreibt einführend die grundsätzliche Bewertung von Barriereleistungen einzelner Kunststoffe bzw. Polymeren und erläutert, warum bestimmte Polymeren höhere oder niedrigere Barrieren bzw. Diffusionseigenschaften im Molekularbereich aufweisen.
Bei im Einsatz befindlichen Verpackungssystemen lässt sich auf Basis der funktionellen Barriereeigenschaften von Materialien und Artikeln eine Risikobewertung und ein daraus abgeleiteter Maßnahmenplan entwickeln, der einen aus Sicht des Lebensmittels sicheren Einsatz von Verpackungsmaterialien einschließlich Druckfarben, Lacken, Beschichtungen, Klebstoffen, etc. gewährleistet. In der Regel erübrigen sich dadurch zeit- und kostenintensive Laborprüfungen bzw. diese werden auf ein Minimum reduziert.
Neben den Eigenschaften der Kunststoffe selbst leistet die Löslichkeit des migrierenden Stoffes im Kunststoff ihren Beitrag zur erreichbaren Barriere. Dr. R. Brandsch zählt weitere Faktoren (Dicke des Kunststoffs, Größe des migrierenden Stoffs, Temperatur) auf und stellt fest:
Ob die Barrierewirkung (= funktionelle Barriere) eines Kunststoffs im Bezug auf eine konkrete Anwendung (Füllgut, Lagerzeit, Lagertemperatur) ausreichend ist, kann nur unter ganzheitlicher Betrachtung aller Einflussgrößen: Kunststofftyp und Kunststoffdicke; migrierender Stoff: dessen Molekulargewicht und Löslichkeit im Kunststoff; Lagerzeit und Lagertemperatur; Art des Füllguts beurteilt werden.
Beispiel Mineralöl:
Wird z.B. die Barrierewirkung von Kunststoffen gegenüber Mineralöl (mittleres Molekulargewicht 300 g/mol) bei Raumtemperatur (ca. 20°C) betrachtet, so kann bereits anhand der polymerspezifischen Konstanten (AP-Wert) [2] eine sinnvolle Materialauswahl für Verpackungslösungen getroffen werden. Hoher AP-Wert bedeutet geringe Barrierewirkung und niedriger AP-Wert bedeutet hohe Barrierewirkung. Entsprechend hat LDPE kaum Barrierewirkung gegenüber Mineralöl, wohingegen PP bei ausreichender Dicke (d > 300 µm) bereits gute Barrierewirkung aufweist. Sehr gute Barrierewirkung weisen PET oder PVC/PVDC bereits bei geringen Dicken (d ≈ 10 µm) auf.
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Dp [cm2/s] | Ap | |
---|---|---|
Gase | ~10-1 | |
Flüssigkeiten | ~10-5 | 20 |
viskose Flüssigkeiten | ~10-6 | 18 |
weiche PVC | ~10-7 | 16 |
Polymere T > Tg | ||
LDPE | ~10-9 | 11 |
HDPE | ~10-10 | 9 |
PP | ~10-11 | 7 |
Polymere T < Tg | ||
PA | ~10-13 | 2 |
PS | ~10-14 | 0 |
PET | ~10-15 | -2 |
hart PVC | ~10-16 | -4 |
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Aus dem AP-Wert, dem Molekulargewicht des Migranten und der Temperatur kann der Diffusionskoeffizient von Mineralöl in dem jeweiligen Kunststoff abgeschätzt werden und für die konkrete anwendungsbezogene Simulation der Migration (Migration Modelling) auf der Basis des Diffusionsgesetzes verwendet werden.
Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Unterscheidung der "Funktionellen Barriere" gegenüber der "Absoluten Barriere" und zitiert das aktuell gültige Recht (vierte Änderungsrichtlinie 2007/19/EG (Artikel 7a) der Kunststoffrichtlinie 2002/72/EG und Rahmenverordnung (EG) Nr. 1935/2004 [3].
Definition:
Eine "funktionelle Barriere aus Kunststoff", besteht aus einer oder mehreren Schichten Kunststoff und stellt sicher, dass das Material oder der Gegenstand im fertigen Zustand Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Kunststoffrichtlinie entspricht.
Im Kapitel "Verpackungssysteme" erläutert Dr. R. Brandsch, dass die in der Regel heute aus mehreren Materialien und/oder Artikeln bestehenden Verpackungen in ihrer Gesamtheit betrachtet werden müssen, sowohl die in direktem Lebensmittelkontakt stehenden Materialien, wie auch diejenigen, die erwartungsgemäß nicht im Kontakt stehen.
Dazu führt er das Beispiel Mineralöl an:
Der Übergang von Mineralöl aus recyceltem Karton oder Papier erfolgt mehrheitlich über die Gasphase. Der Übergang über die Gasphase ist möglich, weil Mineralöl ausreichend flüchtig ist, um von der Kartonfaser zu desorbieren und an dem innen befindlichen Packstoff bzw. direkt am Lebensmittel zu adsorbieren. Die Flüchtigkeit eines Stoffes kann durch seinen Dampfdruck bei einer gegebenen Temperatur ausgedrückt werden, wobei zu beachten ist, dass sich der Dampfdruck des reinen Stoffes deutlich von dem Dampfdruck des adsorbierten oder gelösten Stoffs unterscheiden kann. Niedermolekulare Mineralölanteile sind stärker flüchtig als hochmolekulare Anteile.
Der Übergang von Mineralöl auf Lebensmittel wird durch zwei wesentliche Parameter bestimmt: einerseits durch die spezifische Oberfläche des Lebensmittels, an der das Mineralöl relativ unspezifisch adsorbiert wird, und andererseits durch den frei verfügbaren oder zugängigen Fettanteil des Lebensmittels, in dem sich mittel- bis unpolare Stoffe sehr gut lösen, d.h. bevorzugt aufgenommen werden. Eine hohe spezifische Oberfläche von Lebensmitteln wie z.B. bei Mehl, Reis, Cerealien, als auch ein Fettgehalt von einigen Prozent in Lebensmitteln wie z.B. Schokoladenprodukte, Kekse, Nudeln mit Ei, Sandwiches, lässt hohe Migrationswerte an Mineralöl erwarten, sofern recycelter Karton oder Papier zum Verpacken eingesetzt werden.
Rechtliche Definition
In Analogie zu der funktionellen Barriere innerhalb eines Materials oder Artikels lässt sich das Konzept der funktionellen Barriere auf ein gesamtes Verpackungssystem erweitern. Dazu ist es zielführend, ein Verpackungssystem als konzentrische, einander zumindest teilweise umgebende Lagen zu betrachten. Materialien oder Artikel sind dabei z.T. nicht in direktem Kontakt miteinander, sondern es befindet sich gegebenenfalls Luft/Gas dazwischen.
Die Rahmenverordnung (EG) Nr. 1935/2004 gilt entsprechend Artikel 1 für Materialien und Gegenstände, einschließlich aktiver und intelligenter Lebensmittelkontakt-Materialien und -Gegenstände, die als Fertigerzeugnis:
- dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, oder
- bereits mit Lebensmitteln in Berührung sind und dazu bestimmt sind, oder
- vernünftigerweise vorhersehen lassen, dass sie bei normaler oder vorhersehbarer Verwendung mit Lebensmitteln in Berührung kommen oder ihre Bestandteile an Lebensmittel abgeben.
Die Zeit, die ein Stoff benötigt, um von außen (z.B. Umverpackung oder Druckfarbe) durch eine funktionelle Barriere (z.B. Primärverpackung oder Substrat) hindurch zu wandern wird auch Durchbruchszeit θ genannt (siehe Grafik). Die Durchbruchzeit ist direkt proportional zu der Dicke des Innenbeutels, dP zum Quadrat, und umgekehrt proportional zu dem Diffusionskoeffizienten DFB des Stoffes in der funktionellen Barriere, FB.
Die Wirkungsweise einer funktionellen Barriere ist in der folgenden Abbildung dargestellt:
Quelle: Dr. R. Brandsch
Ist keine funktionelle Barriere vorhanden bzw. befindet sich der migrierende Stoff in der Lebensmittelkontaktschicht, so ist ein zeitlicher Verlauf der Migration zu beobachten, der der linken Graphik entspricht. Wird die Migration des Stoffes zu zwei beliebigen Zeitpunkten bestimmt und werden die beiden Punkte durch eine Gerade verbunden, so wird die Gerade die y Achse (Migration, mF,t/A) immer bei einem positiven Wert (I > 0) schneiden.
Ist eine funktionelle Barriere vorhanden, so ist ein zeitlicher Verlauf der Migration zu beobachten, der der rechten Graphik entspricht. Wird die Migration des Stoffes zu zwei beliebigen Zeitpunkten bestimmt und werden die beiden Punkte durch eine Gerade verbunden, so wird die Gerade die y Achse (Migration, mF,t/A) bei einem negativen Wert (I < 0) schneiden, wenn sich der eine Zeitpunkt innerhalb der Durchbruchszeit θ (lag time) befindet.
Angestrebt werden solle eine möglichst lange Durchbruchszeit θ. Doch ist die Frage, bei welcher Materialdicke dies erzielt werden kann, nicht losgelöst von wirtschaftlichen und ökologischen Faktoren zu beantworten:
Der Einsatz von Materialien wie Glas oder Metall als absolute Barriere gegenüber der Migration von Stoffen im Bereich der flexiblen Verpackung dürfte eine hypothetische Option sein und bleiben. Materialien mit funktionellen Barriereeigenschaften wie z.B. Kunststoffe und Mehrschichtverbunde stellen hingegen eine technologisch realisierbare Möglichkeit dar.
Um von vorneherein optimale Barriereeigenschaften eines Verpackungssystems mit Blick auf das Füllgut zu schaffen, verweist der Autor auf die Möglichkeit, Software Tools einzusetzen. Dafür steht die Software SML Advanced der AKTS AG zur Verfügung, die gemeinsam mit dem Schweizer Bundesamt für Gesundheit und der MDCTec Systems GmbH entwickelt bzw. vertrieben wird [4].
Quelle: Dr. R. Brandsch
Die Compliance Base TM der MDCTec Systems GmbH ermöglicht eine systematische Umsetzung der Compliance Strategie im Unternehmen. Die gesamte Konformitätsarbeit kann im Unternehmen mit ihrer Hilfe effizient und entsprechend den Anforderungen der GMP-Verordnung (EG) Nr. 2023/2006 implementiert werden, zudem gelingt die Verwaltung des gesamten Rohstoff- und Verpackungsportfolios und daraus resultierende Kontaminationsrisiken können identifizieren bzw. gezielt vermieden werden.
Der Autor kommt zu folgendem Fazit:
Der Übergang von Kontaminanten auf Lebensmittel kann durch gezielte Gestaltung der Verpackungslösung unter Verwendung von Materialien und Artikeln mit ausreichenden Barriereeigenschaften minimiert werden. Welche Kunststoffe oder Mehrschichtverbunde ausreichende Barriereeigenschaften gegenüber Mineralöl oder anderen Kontaminanten/Stoffen (z.B. aus der Druckfarbe) aufweisen, hängt entscheidend von der Anwendung (Lagerzeit und Lagertemperatur) ab. Die Barriereeigenschaften können unter Berücksichtigung von Lagerzeit, Lagertemperatur, Verpackungsaufbau und Oberflächen/Volumen-Verhältnis berechnet und gegebenenfalls durch abschließende Migrationsprüfungen validiert werden.
Lediglich die ganzheitliche materialbezogene Betrachtung der eingesetzten Verpackungssysteme gewährleistet eine Bewertung und Minimierung der Kontaminationsrisiken durch Mineralöl oder andere Verpackungsbestandteile. Den Einsatz von technologisch wichtigen Stoffen in Verpackungsanwendungen auszuschließen, stellt eine unbefriedigende Möglichkeit dar, die Innovation und technischen Fortschritt einschränkt.
Den ausführlichen Beitrag finden Sie unter www.innoform.de
[1] Brandsch, R.; "Recycelter Karton und Papier für Lebensmittelverpackungen? Migration von Mineralöl aus Kartonverpackungen in Lebensmittel kann durch Einbringen einer funktionellen Barriere minimiert werden."; InnoLETTER; 06.07.2010; www.innoform.de
[2] Begley et al; "Evaluation of migration models that might be used in support of regulations for food-contact plastics."; Food Additives and Contaminants, January 2005; 22(1): 73-90
[3] RICHTLINIE 2002/72/EG DER KOMMISSION vom 6. August 2002 über Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen
[4] Software SML Advanced 4.5; www.akts.com bzw. www.mdctec-systems.com
(, st)