Gastbeitrag
Aussagekraft: Ungenügend!
Sonja Bähr ist als Diplom Wirtschafts-Ingenieurin bei der Unternehmensberatung TILISCO tätig und verantwortet Themen aus dem Bereich des Verpackungsmanagement.
Quelle: TILISCO
Vorsicht bei Onlinetools, die eine Bewertung der Recyclingfähigkeit versprechen. Dies rät die auf Verpackungsmanagement spezialisierte Unternehmensberatung TILISCO GmbH und weist dabei auf eine möglicherweise geringe Aussagekraft und dem damit verbundenen schmalen Grat zur Verbrauchertäuschung hin.
Die Onlinetools anhaftende Unsicherheit bestätigt auch Rechtsanwalt Dr. Boris Riemer, der gemeinsam mit TILISCO in jüngster Zeit einige Nachhaltigkeitsaussagen hinsichtlich der Irreführung von Verbrauchern begutachtet hat: „Recyclingfähigkeit ist ein Begriff, der gesetzlich nicht näher beschrieben ist. Eine Verpackung muss den Vorgaben des Verpackungsgesetzes entsprechen, ansonsten wäre die Verpackung unzulässig. Aber was genau heißt gut oder sehr gut? Diese Wertung muss den Verbrauchern erklärt werden, und zwar mindestens durch die Angabe der Bewertungsquelle, um die notwendige Transparenz zum Nachvollziehen der Aussage an die Hand zu geben."
Vor mittlerweile zwei Jahren ist das Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die hochwertige Verwertung von Verpackungen, kurz das Verpackungsgesetz (VerpackG), in Kraft getreten. Es implementiert eine entscheidende Neuerung für die ökologische Betrachtung von Verpackungen, nämlich die Bewertung der Recyclingfähigkeit. Laut Gesetz sollen Verpackungen so hergestellt und vertrieben werden, dass das Verpackungsvolumen und die -masse auf ein Mindestmaß begrenzt sind, sowie die Wiederverwendung und Verwertung einschließlich Recycling möglich ist. Dafür wurde der § 21 unter der Überschrift „Ökologische Gestaltung der Beteiligungsentgelte“ in das Gesetz aufgenommen. Demzufolge sind die Dualen Systeme verpflichtet, die Bemessung der Beteiligungsentgelte so mit Anreizen zu versehen, dass die Verwendung von Materialien, die zu einem möglichst hohen Prozentsatz recycelt werden können, besonders gefördert wird. Eine Art Bonus- / Malus- System.
Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ist maßgeblich davon abhängig, dass die Materialien einfach und sicher mehrfach für den gleichen Verwendungszweck eingesetzt werden können. Für Verpackungen aus Glas, Metall und Papier ist das heute schon weitestgehend möglich. Es sind die Kunststoffe, die sich weniger gut für eine Kreislaufwirtschaft eignen. Und hier vor allem jene, die, um eine hohe Funktionalität sicherzustellen, aus vielen verschiedenen Kunststoffsorten bestehen und nicht einfach werkstofflich recycelt werden können.
Der Mindeststandard ist die Basis
Welche Materialien und Verpackungen als besonders gut recyclingfähig gelten, kann dem jährlich aktualisierten Mindeststandard entnommen werden. Hierin legt die Zentrale Stelle Verpackungsregister (ZSVR) gemeinsam mit einem gut besetzten Steuerungskreis nicht nur fest, welche Kriterien für die generelle Bemessung der Recyclingfähigkeit gelten, sondern es gibt darüber hinaus auch konkrete Gebote und Verbote wie eine Verpackung technisch gestaltet sein soll. Der Mindeststandard ist Bestandteil des VerpackG und bindend, wenn die Recyclingfähigkeit als Bemessungsgrundlage für die Entsorgungsgebühren oder als Kommunikations- und Werbeinstrument für besonders nachhaltige Verpackungen genutzt wird.
Mittlerweile gibt es mehr als ein Dutzend verschiedene Anbieter von Methoden, Nachweisen und Zertifikaten zur Bemessung der Recyclingfähigkeit von Verpackungen. Insbesondere die großen Dualen Systeme haben die Bewertung der Recyclingfähigkeit gleich nach Inkrafttreten des Gesetzes zu einem lukrativen Geschäftszweig ausgebaut. Dabei haben sich nur wenige Anbieter die Mühe gemacht, sich die Entwicklung ihrer Methodik wissenschaftlich begleiten und akkreditieren zu lassen.
Begrenzte Aussagekraft
Aber es gibt auch Anbieter, die ausschließlich oder als Einstieg auf vermeintlich einfache Online Bewertungstools setzen. Die alleinige Nutzung solcher Tools ist mit Vorsicht zu betrachten, denn die resultierende Aussagekraft kann so begrenzt sein, dass verlässliche, belastbare Angaben nicht möglich sind. Denn absichtlich oder unabsichtlich nicht angegebene Werte haben einen maßgeblichen Einfluss auf das Ergebnis. Und häufig liegen den Benutzern gar nicht alle relevanten Informationen vor oder sie wissen nicht, wie diese zu verwenden sind.
Insbesondere Verpackungen aus Kunststoff und speziell Folien sind schwierig zu beurteilen. Kundenindividuelle Rezepturen, abgestimmt auf Anforderungen des Produktes und auf vorhandene Abpack- und Logistikprozesse finden sich im Detail häufig nicht in der Spezifikation wieder. Um aber einen exakten Wert der Recyclingfähigkeit berechnen zu können, sind, neben vielen weiteren Informationen, Angaben zur Materialstärke, dem Flächengewicht, der Grammatur von Haftvermittlern und Klebstoffen, genauso essenziell wie Angaben zur Anzahl der Druckfarben, deren Auftragsstärke oder die Verwendung von Lacken.
Selbst beim Vorliegen aller notwendigen Spezifikationsunterlagen ist es auch für Verpackungsexperten nicht immer möglich, die erforderlichen Angaben so einzugeben, dass eine exakte und belastbare Aussage getroffen werden kann.
Keine einfache Rechnung
Generell gilt: Das Hauptmaterial minus der Störstoffe ist gleich der Wertstoffanteil, der dem Wert der Recyclingfähigkeit entspricht. Und damit zeigt sich das größte Manko in diesem komplexen System.
Der Mindeststandard gibt vor, dass die Bemessung in einer ordinalen oder metrischen Skala vorgenommen werden kann. Dabei muss es mindestens drei Abstufungen geben Gut/ Mittel/ Schlecht. Das wird in der Praxis durchaus unterschiedlich gehandhabt. Einige Anbieter (z.B. die PTS Papiertechnische Stiftung) arbeiten mit einem Ampelsystem rot/gelb/grün. Andere, wie Interseroh, mit einem Gewichtungs- und Punktesystem. Maximal erreichbar sind 20 Punkte. Verpackungen mit kleiner 15 Punkten, sind nur eingeschränkt oder gar nicht recyclingfähig. 16 bis 18 Punkte ergeben eine gute und 19 bis 20 Punkte eine sehr gute Recyclingfähigkeit. Dieses grobe Raster, bei dem ein Punkt fünf Prozent entspricht, kann bei Bewertungen, die an der Grenze zwischen gut und sehr gut liegen zu einer entsprechend schlechteren Bewertung führen.
Differenzierter sind Bewertungssysteme, die in einer metrischen Skala mit Prozentwerten arbeiten. Das Institut Cyclos HTP und Eurofins nutzen die genauere Abstufung und können gemäß der Berechnungsvorgabe „Gesamtmaterial minus Störstoffe ist gleich der Wertstoffanteil“, Werte wie bspw. eine 89 oder 97%ige Recyclingfähigkeit ausweisen. Im ersten Fall kann mit einer guten, im zweiten Fall mit einer sehr guten Recyclingfähigkeit geworben werden.
Das Risiko der Fehleinschätzung bleibt
Eine vergleichbar genaue Differenzierung mit einem Onlinetool zu erreichen, ist überaus schwierig. Den Anwendern ist nicht bekannt, ob die Algorithmen verschiedener Tools gleichartig und die Anwendungen entsprechend programmiert sind – und welche Abfragen und Verknüpfungen im Hintergrund zu einer Bewertung führen. Hinzu kommt, dass den Eingaben der Nutzer eine große Unsicherheit anhaften kann, solange keine Plausibilitäts- oder Gegenprüfung erfolgt, ob wirklich alle Angaben korrekt und in vollem Umfang getätigt wurden.
Der Wert des Ergebnisses eines Onlinetools steht und fällt also mit der nachvollziehbaren Transparenz, der Richtigkeit und Vollständigkeit der eingespeisten Daten und dem entsprechenden Sachverstand, der in die Programmierung des Algorithmus geflossen ist.
Somit bleibt ein Risiko, sich mit einer möglicherweise nicht zutreffenden Aussage zur Nachhaltigkeit oder zur Recyclingfähigkeit dem Verdacht der Verbrauchertäuschung auszusetzen. Klagen Wettbewerber oder eine Verbraucherschutzorganisation erfolgreich dagegen, droht nicht nur ein Verkaufsstopp, sondern dies kann auch die Rücknahme der Produkte zur Folge haben. Das ist finanziell ein Desaster, aber der Imageverlust der Marke wiegt meist noch schwerer.
Besser ist es, eine umfängliche Prüfung vorzunehmen, auf diesem Wege die Güte der Recyclingfähigkeit zu bestätigen und sich auch die Claims über entsprechende Gutachten abzusichern. Damit die eigenen Bemühungen um bessere und nachhaltige Verpackungen kommunikativ auch wirklich bei den Verbrauchern ankommen und nicht als Fall vor Gericht enden.
Sonja Bähr ist als Diplom Wirtschafts-Ingenieurin bei der Unternehmensberatung TILISCO tätig und verantwortet Themen aus dem Bereich des Verpackungsmanagement.
Als Unternehmensberatung für Verpackungsmanagement verfolgt die TILISCO GmbH einen ganzheitlichen Ansatz zur Analyse und Optimierung von Verpackungen entlang des gesamten Lebenswegs. Dabei werden komplexe Fragen zur nachhaltigen Verpackung, Design for Recycling oder der Kreislaufwirtschaft geklärt. Außerdem erstellt TILISCO in Zusammenarbeit mit einem Rechtsanwalt entsprechende Rechtsgutachten, in denen die Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsclaims auf den Verdacht des Greenwashing prüfen lassen können.